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Im Zeichen der Energiewende 15.01.2024

Wie Gasturbinen zur Dekarbonisierung der Energiebranche beitragen können

In einer aktuellen Studie geht S&P Global davon aus, dass 2024 mehr als 50 Milliarden Tonnen CO₂-Equivalente in die Atmosphäre gelangen, fast ein Drittel davon entsteht bei der Strom- und Fernwärmeerzeugung. Die gute Nachricht: Beide Szenarien der Studie prognostizieren, dass die Treibhausgasemissionen damit ihren Höhepunkt erreicht haben und sinken werden, vor allem durch den Ausbau Erneuerbarer Energien. Die Hürden der Energiewende erklärt Dr. Benjamin Witzel, Head of Fuel Flexibility, Hydrogen & Carbon Capture bei Siemens Energy mit dem »Energietrilemma«: Energie muss bezahlbar bleiben, jederzeit zuverlässig bereitstehen und nachhaltig sein, also idealerweise aus Erneuerbaren Quellen stammen.

Text: Mathias Heerwagen | Foto: FVV

Ein Zielkonflikt, der sich schwer lösen lässt. Zwar gibt es technische Lösungen für viele Herausforderungen, auch die Zuverlässigkeit der Energiebereitstellung sei eine lösbare Aufgabe, das aktuell größte Problem stellen jedoch die Kosten dar. Erst bei der Entwicklung neuer Technologien, dann bei der Produktion der Anlagen und schließlich beim Betrieb, dessen Kosten maßgeblich vom Preis des Brennstoffs abhängen. Je nach Land, Region und Anforderungen wird daher ein Maßnahmenmix erforderlich sein. Klar ist jedoch, dass Turbomaschinen in allen Szenarien auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden.

Ohne Gasturbinen geht es nicht

Gaskraftwerke dienen künftig vor allem dazu, Schwankungen der Stromversorgung auszugleichen, etwa wenn die Erneuerbaren wegen einer Dunkelflaute nicht genügend Strom liefern. Das führt dazu, dass Gasturbinen deutlich zyklischer betrieben werden: Nicht mehr 8.000 Stunden im Jahr, sondern beispielsweise nur noch 1.000 mit vielen Starts täglich. Da die Haltbarkeit einiger Materialien und Komponenten jedoch weniger durch die Betriebsstunden limitiert ist als durch die Zyklenzahl, kann trotz geringerer Betriebsstunden die Materialbelastung steigen.

Ein Wechsel ausschließlich auf kleinere Turbinen, die dann wiederum länger laufen könnten, ist jedoch auch keine optimale Lösung, erklärt Benjamin Witzel: »In diesem Energiesystem erfüllt die Gasturbine über die Rückverstromung von zum Beispiel in Form von grünem Wasserstoff chemisch gespeicherter Energie die Aufgabe einer Batterie: Man muss zu einem bestimmten Zeitpunkt eine hohe Leistung bereitstellen können, aber wegen der hohen Brennstoffkosten eben auch mit hoher Effizienz. Daher werden große Hocheffizienz-Turbinen in der 600-MW-Klasse auch in Zukunft ihre Berechtigung haben.« Eine Gasturbine dieser Größe sei hinsichtlich der Investitionskosten zudem deutlich günstiger als beispielsweise zehn 60-MW-Turbinen. Wer jedoch auf Flexibilität angewiesen ist und die Turbinen sehr zyklisch betreiben muss, könne von kleineren Aggregaten profitieren.

Es kommt künftig darauf an, konkurrierende Ziele besser zu vereinen: Flexibilität ist heute oft entscheidender als das letzte Zehntelprozent Wirkungsgrad.

»Man kann nicht alles gleichzeitig optimieren. Manche Turbinen haben einen besseren Wirkungsgrad, manche lassen sich flexibler einsetzen. Unsere Aufgabe ist es, ein Gefühl für die größte Schnittmenge der Kundenbedürfnisse zu bekommen«, erklärt Witzel. Je nach Land sind die Bedürfnisse verschieden, doch immer häufiger fragen Kunden explizit, wie viel Wasserstoff sie dem Erdgas beimischen könnten. »Bei einigen Typen sind das 10 Prozent, bei manchen 75 Prozent«, sagt Witzel. Sogar die Umrüstung auf 100 Prozent Wasserstoff sei zukünftig technisch möglich. Doch kaum ein Kunde kann im Moment die für den Betrieb benötigten Mengen Wasserstoff dauerhaft zur Verfügung stellen.

Entwicklungen skalieren

Bis 2030 sollen alle neuen Siemens- Energy-Gasturbinen »H₂-ready« sein, dem Erdgas kann dann nach Austausch einzelner Komponenten wie etwa dem Verbrennungssystem und den Hilfssystemen bis zu 100 Prozent Wasserstoff beigemischt werden. Etwa 20 verschiedene Turbinen-Typen hat Siemens Energy derzeit weltweit im Einsatz, alle wurden ursprünglich für die Erdgasverbrennung entwickelt. Evolutionäre Weiterentwicklungen für den Betrieb mit 100 Prozent Wasserstoff seien nicht zielführend, zu hoch sind die Flammengeschwindigkeiten bei der Verbrennung von Wasserstoff, zu groß die Herausforderungen bei den verwendeten Werkstoffen (Stichwort Wasserstoff-Versprödung) oder bei der zuverlässigen Detektion von möglichen Flammenrückschlägen. Nur mit Neuentwicklungen lässt sich diesen Herausforderungen begegnen.

Doch das große Portfolio an Gasturbinen lässt sich nicht gleichzeitig umstellen auf reinen Wasserstoffbetrieb. Siemens Energy entwickelt daher die Basistechnologien wie das Verbrennungssystem oder keramische Werkstoffe zunächst im kleineren Maßstab. Ab einem gewissen technologischen Reifegrad lassen sich die Erkenntnisse auf große Turbinen skalieren. Kleinere Aggregate wie die SGT-400 mit einer Leistung von 13 bis 15 MW lassen sich deutlich kostengünstiger entwickeln und testen. So können beispielsweise kleinere Brenner mit Rapid-Prototyping-Verfahren wie dem Selektiven Laserschmelzen hergestellt werden. Zudem benötigt Siemens Energy weniger Wasserstoff für die Validierung einer 15 MW-Turbine als für eine mit 600 MW Leistung.

Eine Herausforderung bei der Entwicklung der neuen Technologien für die Verbrennung von 100 Prozent Wasserstoff ist die nach wie vor begrenzte Verfügbarkeit des Brennstoffs.

Bereits in der Entwicklungsphase stellt das bisweilen ein beeindruckendes Problem dar: Für einen einzigen Gesamtmaschinentest einer SGT-800 Turbine kaufte das Siemens Energy Gasturbinenwerk im schwedischen Finspång nahezu die gesamte in Nordeuropa zur Verfügung stehende Wasserstoffmenge auf. An grünen Wasserstoff in solchen Mengen ist noch gar nicht zu denken. Woher also soll der Brennstoff künftig kommen? Alternativen zu ergänzenden Importen zum Beispiel aus Nordafrika oder Australien und der Verschiffung gen Europa sieht Benjamin Witzel kaum, zu gering werden die zukünftigen Produktionskapazitäten hierzulande sein. Immerhin: Bis 2030 sollen in Europa sechs Pipelines errichtet werden, um Wasserstoff importieren und verteilen zu können. Bis 2032 sollen in Deutschland über das H₂-Starter-Netzwerk alle Kraftwerke mit einer Leistung von mehr als 100 MW miteinander verbunden sein.

Methanol und Ammoniak als Alternativen

Eine praxisnahe Flüssigbrennstoff- Alternative kann Methanol aus erneuerbaren oder biologischen Quellen sein. Sogenannte »Dual-Fuel«-Turbinen nutzen unterschiedliche Brennstoffpassagen, um flüssige und gasförmige Brennstoffe nutzen zu können – etwa Wasserstoff und Methanol. Während Wasserstoff ein Ersatz für Erdgas ist, dient Methanol als Alternative für Flüssigbrennstoffe wie Heizöl. Bestehende Turbinen der kleineren Leistungsklassen lassen sich vergleichsweise einfach auf Methanolbetrieb umrüsten, dementsprechend schnell kann Siemens Energy seinen Kunden eine Lösung präsentieren. Vor allem aber: Methanol wird für kleinere Turbinen in ausreichenden Mengen verfügbar sein.

Während die Politik in Deutschland und Europa derzeit Wasserstoff als grüne Energiequelle favorisiert, werden beispielsweise in Japan Turbinen entwickelt, die gasförmigen oder flüssigen Ammoniak verbrennen sollen. Der Vorteil: Ammoniak lässt sich ebenso wie Wasserstoff aus erneuerbaren Energien herstellen, bietet aber deutliche Vorteile beim Transport, was wichtig ist für Länder wie Japan, die wegen ihrer begrenzten Fläche auf Energieimporte angewiesen sind. Bei der Verbrennung von Ammoniak entsteht, wie beim Wasserstoff, kein CO₂. Benjamin Witzel sieht die Verwendung von Ammoniak dennoch kritisch: Der Stoff ist hochgiftig, völlig offen sind in diesem Zusammenhang neben der allgemeinen Handhabung vor allem mögliche Ammoniak-Emissionen bei unvollständiger Verbrennung oder Fehlstarts. Zudem entstehen bei der Verbrennung von Ammoniak aus dem im Brennstoff gebundenen Stickstoff um ein Vielfaches höhere Stickoxid- Emissionen als in aktuellen Erdgas- Turbinen. Eine weitere Herausforderung bei der Ammoniak-Verbrennung stellt dessen – im Gegensatz zu Wasserstoff – sehr geringe Reaktivität dar. Ein System, welches für Ammoniak optimiert ist, wird vermutlich keine Flexibilität hinsichtlich des Betriebs mit einem weiteren Brennstoff in einer Dual-Fuel-Turbine haben können.

Doch egal welcher Brennstoff künftig zum Einsatz kommt: »Es gibt nicht die eine Lösung für die Energiewende. Vielmehr braucht es einen Mix aus einem Ausbau der Erneuerbaren, Investitionen in die Infrastruktur wie Pipelines und Stromnetze, neue Technologien und Werkstoffe sowie zuverlässige Lieferketten«, sagt Benjamin Witzel.

Und auch bei der Definition der entsprechenden Normen und Regelwerke gibt es noch viel zu tun. Um all diese Herausforderungen zu meistern, müsse die Industrie weiterhin eng mit Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten – so wie es die FVV und Siemens Energy bereits tun.

Dr. Benjamin Witzel, Head of Fuel Flexibility, Hydrogen & Carbon Capture bei Siemens Energy, skizziert in einem Impulsvortrag, welche Rolle Gasturbinen bei der Energiewende spielen, wie die Umstellung auf Wasserstoffbetrieb gelingen kann und welche Herausforderungen damit verbunden sind.

Technologien zur Energieerzeugung: Turbomaschinen // vollständige Projektdaten ab S. 17 im Transferbericht | Herbst 2023